YBs Gegner RB Leipzig ist so umstritten wie erfolgreich
Die letzte Episode der Leipziger Erfolgsgeschichte liegt gerade drei Tage zurück. 3:0 schlug die Mannschaft von Trainer Marco Rose den FC Augsburg in der Bundesliga - der dritte Sieg im vierten Ligaspiel, der vierte im fünften Pflichtspiel der Saison, die der Cupsieger der Vorsaison mit einem berauschenden 3:0 im deutschen Supercup gegen Bayern München lanciert hat.
16:4 Tore sind das Zwischenergebnis der nicht nur erfolgreichen, sondern auch sehenswerten offensiven Spielweise mit hohem, aggressivem Pressing und schnellem Umschalten. Nächste Zwischenstation ist am Dienstag zum Auftakt der Champions League das Berner Wankdorf. Alles andere als ein Auswärtssieg wäre eine Überraschung, auch wenn mit Captain Willi Orban und Regisseur Dani Olmo zwei Teamstützen verletzt sind.
Clever einkaufen, teuer verkaufen
Das Spektakel bei Leipzig geht weiter, obwohl der Umbruch in diesem Sommer so gross war wie noch nie seit dem Aufstieg in die Bundesliga vor sieben Jahren. Mit Christopher Nkunku (zu Chelsea), Dominik Szoboszlai (Liverpool), Konrad Laimer (Bayern München) und Josko Gvardiol (Manchester City) verliessen vier der wichtigsten Spieler die Mannschaft. Doch auch dieses Mal wurden die eingenommenen Millionen geschickt reinvestiert.
Lois Openda und Benjamin Sesko machen im Sturm Nkunku vergessen. Der von Paris Saint-Germain ausgeliehene und bei seiner letzten Leihe zu Eindhoven in den Niederlanden als Spieler der Saison ausgezeichnete Xavi Simons gehört auf Anhieb zu den Leistungsträgern im Mittelfeld, wo mit Olmo der nächste Spieler die Schwelle zur Weltklasse erreicht hat und die nächsten Transfermillionen näher rücken. In der Abwehr stehen die nächsten grossen Talente mit Castello Lukeba, Mohamed Simakan und El Chadaille Bitshiabu bereit, um an der Seite des Fixpunktes Orban zu gedeihen.
So gewichtig und zahlreich die Abgänge sind, sie gehören zum System, in dem viel Know-how steckt und vieles von langer Hand geplant ist. Clever einkaufen und teuer verkaufen: Das ist die Strategie des Klubs. Verkäufe werden frühzeitig antizipiert, die nächsten Talente im Hintergrund von langer Hand geplant eingekauft, gegebenenfalls von Partnerklubs wie Red Bull Salzburg, wie die Flut an Transfers zwischen den beiden offiziell unabhängigen Klubs verdeutlichen.
Für Funktionäre und Spieler, zu denen mit Fabio Coltorti, Yvon Mvogo und Philipp Köhn auch drei Schweizer Torhüter gehörten, ist RB Leipzig attraktiv. «Ich sehe in erster Linie das Sportliche. Der Verein arbeitet sehr professionell, hat beste Voraussetzungen und sehr interessante Perspektiven», findet auch Stéphane Chapuisat, der Chefscout der Young Boys.
Ein Marketingprojekt
Erst 2009 gegründet, marschierte RB Leipzig in Windeseile aus der fünfthöchsten Liga in die Bundesliga und in die Champions League. Möglich machen diesen Aufstieg nicht nur das clevere Management, sondern auch Geld, viel Geld. Womit die Kritikpunkte auf den Tisch kommen.
RB Leipzig ist kein gewöhnlicher Verein. Es ist das potente Fussball-Flaggschiff des in kurzer Zeit zu einem Imperium gewachsenen Geflechts des omnipräsenten Getränkeherstellers Red Bull - entstanden einzig zum Zweck des Marketings, monieren die Kritiker. Für sie ist RB Leipzig die Verkörperung der Kommerzialisierung und Vereinnahmung des Fussballs durch Konzerne und Milliardäre, die vielen Fans ein Dorn im Auge ist, in Deutschland noch ausgeprägter als in England, wo man sich mit den Auswüchsen arrangiert hat.
«Es geht darum, und nein, das wurde anscheinend noch nicht oft genug wiederholt, dass RB Leipzig ein reines Marketingprojekt ist. Einzig und allein geschaffen, um die Marke Red Bull zu stärken. RB Leipzig ist kein Fussballverein, RB Leipzig ist ein Imitat», schreibt etwa das Fachmagazin «11Freunde», das aus Protest weitgehend auf eine Berichterstattung über den Klub verzichtet.
Tatsächlich lässt sich der Vorwurf des Marketingprojekts schwer enthärten. Zwar betonte der verstorbene Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz regelmässig, der Sport stehe im Zentrum. Die Handlungen deckten sich aber nicht mit den Worten.
Mehr Red Bull als RasenBallsport
Allein das Kürzel RB im Klubnamen, das man vor dem Hintergrund des Hauptsponsors zwangsläufig mit Red Bull und nicht mit dem findigen Vorschub «RasenBallsport» in Verbindung bringt, ist vielsagend. Selbstredend ist das Stadion die «Red Bull Arena», denn hier gibt es seitens der deutschen Regularien kein Verbot einer Namensgebung zu Werbezwecken.
Fragwürdig ist auch, wie RB Leipzig die in Deutschland geltende 50+1-Regel umdribbelt: Als privater Investor darf Red Bull 99 Prozent der Spielbetriebs-GmbH halten, solange der Verein die Stimmenmehrheit hat. Stimmberechtigte Vereinsmitglieder gibt es: 21. Zum Vergleich: Bei Bayern München sind es rund 300'000, bei Borussia Dortmund 175'000.
Zusammen mit den omnipräsenten zwei roten Bullen ergibt sich das Bild eines durch und durch von Red Bull gesteuerten Marketingvehikels. Eines ausgezeichnet gemanagten Premiumprodukts, das attraktiven und erfolgreichen Fussball garantiert, aber die Grundwerte vieler Fans unterwandert.