Xhaka erklärt, was alles stimmt in Leverkusen
Weiter äussert sich der Captain der Nationalmannschaft zu möglichen personellen Veränderungen in der SFV-Auswahl. Der Rekord-Nationalspieler könnte sich gut vorstellen, dass der frühere Juventus-Star und aktuelle U16-FCB-Coach Stephan Lichtsteiner zeitnah den Trainerstab um Murat Yakin verstärkt. «Er wäre eine tolle Lösung für unser Team. Er weiss, wie man gewinnt und was es braucht, um erfolgreich sein zu können», meldet der 31-Jährige aus Leverkusen.
Granit Xhaka, Sie starten mit Leverkusen aus der Pole-Position zur Rückrunde. Im letzten Sommer taxierten zahlreiche Beobachter Ihren Transfer von Arsenal zu Bayer als Rückschritt.
«Es gab tatsächlich viele Kommentare in diese Richtung. Warum machst du das? Von London nach Leverkusen, das ist doch ein Schritt rückwärts. Du hättest mit Arsenal Champions League spielen können. Alles schön und gut. Mich reizte diese Challenge, dieses Projekt mit Simon Rolfes (Sportdirektor) und Xabi Alonso (Trainer). Dass es auf Anhieb so gut läuft, hätte wohl kaum jemand erwartet. Aber irgendwie fühlt es sich so gut an, diese Herausforderung angenommen zu haben.»
Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es gut enden wird im Frühling?
«Lassen Sie mich etwas ausholen. Als ich im Sommer ein erstes Mal in die Garderobe gelaufen bin, spürte ich sofort besondere Schwingungen - das Miteinander, den Respekt, den Spass, die Seriosität, ein unglaublich gutes Umfeld. Einen besseren Entscheid hätte ich gar nicht fällen können.»
Alonso beeindruckt Sie.
«Er steht für den unglaublich grossen Hunger. Er macht ja in jedem Training mehr Kilometer als wir Spieler. Details, Details, Details! Xabi überlässt wirklich nichts dem Zufall - wenn es sein muss, unterbricht er die Übung so oft, bis die Passkombination einwandfrei sitzt. Er lebt für den Fussball, er gibt alles, er macht uns besser. Für einen solchen Trainer geht ein Team dann eben ohne ein Zögern durchs Feuer.»
Es braucht einen Coach in Hochform im Fernduell mit Bayern. Leverkusen muss monatelang auf Topskorer Boniface verzichten, zwei defensive Stammspieler verpassen wegen des Afrika-Cups mehrere Partien.
«Die Ausfälle sind eine weitere Challenge für uns alle. Jeder muss noch vier bis fünf Prozent mehr geben. Es gibt Chancen für neue Spieler. Patrik Schick ist ja wieder zurück. Von unserer Bank kam auch in der Vorrunde viel. Es zahlt sich eben aus, dass sich Alonso immer intensiv um das gesamte Kader gekümmert hat. Spieler mit Joker-Rollen spüren diese Wertschätzung und gehen entsprechend an die Grenzen.»
Bereits am 10. Februar steht das Gipfeltreffen mit dem Rekordmeister Bayern München im eigenen Stadion an - eine frühe Zäsur wäre möglich.
«Diese Partie wird entscheidend sein. Da können wir uns die Moral, das Selbstvertrauen für den Rest der Saison holen. Gegen die Bayern spielen wir um alles, um einen Meilenstein.»
Apropos Meilenstein. Deutschland ist Ihre alte und neue Heimat. Und an der EM-Endrunde im kommenden Juni treffen Sie in Frankfurt auf den Gastgeber Deutschland. Was ging Ihnen nach der Auslosung durch den Kopf?
«Ich habe mich in erster Linie gefreut. Es ist schön, dass wir uns auf einer grossen Bühne mit einem richtig Grossen des internationalen Fussballs messen dürfen. Mich interessiert nicht, in welcher Verfassung die DFB-Auswahl aktuell gerade ist. Deutschland hat nach wie vor eine Anzahl von Klasse-Spielern. Und beim Turnier im eigenen Land werden sie allen ein ganz anderes Gesicht präsentieren. Sie sind als Veranstalter gesetzt, die Spannung ging deshalb etwas verloren in den teilweise beliebigen Tests. Nicht alle Spieler gingen immer an die Grenzen - das sind keine aussergewöhnlichen Dinge, das kommt vor. Der Coach machte personelle Experimente. Kai Havertz beispielsweise würde er in einem relevanten Spiel niemals als linken Verteidiger einsetzen. Niemals!»
Sie kennen die deutsche Mentalität aus direkter Erfahrung in der Bundesliga-Kabine. Sie spüren den deutschen Rhythmus und wissen, wie es um die Fussball-Nation Deutschland steht. Teilen Sie die allgemeinen Zweifel?
«Nein, die teile ich überhaupt nicht. Die Nationalmannschaft ist überaus gut besetzt. Mindestens drei Goalies können einen Nummer-1-Status beanspruchen: Neuer, Ter Stegen, Leno. Ausser bei den Aussenverteidigern ist jede Position dreifach besetzt. Denken Sie an Rüdiger. Er ist bei Real Madrid Stammspieler, bei einem der besten Klubs der Welt. Mein Klubkollege Jonathan Tah muss sich vor keinem Defensiv-Spieler der Welt verstecken. Florian Wirtz? Da sage ich nur etwas: Geniesst diesen Jungen, so lange er Fussball spielt. Wow! Özil war schon ein Wow-Mitspieler für mich, aber Florian ist noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Von ihm werden wir in den nächsten Jahren in den höchsten Tönen schwärmen.»
Im Schweizer Nationalteam geht es mit Murat Yakin weiter – trotz der erheblichen Turbulenzen im missratenen Finish der EM-Ausscheidung. Wie haben Sie die Diskussionen über das Nationalteam verfolgt?
«Dass es mit Muri weitergeht, ist für mich nicht überraschend - egal, wie die Qualifikation verlaufen ist. Allzu souverän war es von uns nicht, wenn man die Resultate und Spiele betrachtet. Seit dem 2:2 gegen Rumänien ist das Team nicht mehr so aufgetreten, wie wir uns das vorstellen. Die letzten vier Spiele waren richtig schwach. Ungenügend! Vom Torhüter bis zum Stürmer – inklusive Trainerstab.»
Ohne spürbare Verbesserung der Leistungen wird es schwierig mit Blick auf die kommende EM-Endrunde.
«Mit Darbietungen wie im letzten Herbst haben wir an der EM nichts zu suchen. Im März müssen wir uns in den beiden Tests gegen Dänemark und Irland das Vertrauen zurückholen. Da sind wir gefordert, ein anderes Gesicht zu zeigen. Nur mit spielerischen Mitteln geht es nicht. Das sehen wir täglich in der Bundesliga, in der Premier League. Man muss laufen, Zweikämpfe gewinnen, man muss ein Team sein, sonst wird es ein ganz schwieriges Jahr für uns.»
Sind die Länderspiel-Termine im März richtungsweisend?
«Für mich sind das keine Testspiele. Uns stehen bessere Gegner gegenüber als in den letzten zwölf Monaten. Dänemark ist eine tolle Truppe, Irland stellt eine giftige Mannschaft, die mit einer schottischen Mentalität spielen kann. Diese beiden Duelle sind ein Gradmesser. Wir müssen hundert Prozent bereit sein. Alles andere macht keinen Spass.»
Zu einem anderen Thema. Der Verband hat sich im Dezember von Vincent Cavin getrennt. Im Raum steht, dass der SFV einen früheren Nationalspieler in den Coaching-Stab integriert. Haben Sie selber einen bestimmten Namen im Kopf?
«Es wäre sicher von Vorteil, wenn jemand mit Erfahrungen auf höchster Ebene zu uns stossen könnte. Ein Ex-Spieler, der exakt weiss, was sich inner- und ausserhalb einer Nationalmannschaft abspielt. Einer mit offenen Ohren und Augen, der kommuniziert, der für die Spieler ein zusätzlicher kompetenter Ansprechpartner sein kann. Einer, der uns auch mal korrigiert, wenn etwas nicht stimmt.»
An wen denken Sie konkret? Wer erfüllt ein solches Profil vollumfänglich?
«Ich habe einen Namen im Kopf. Wenn ich wählen dürfte, käme ich auf Stephan Lichtsteiner. Er wäre eine tolle Lösung für unser Team. Er weiss, wie man gewinnt und was es braucht, um erfolgreich sein zu können. Er lebt den Fussball ohne Wenn und Aber. Er bringt zudem eine riesige Persönlichkeit mit. Steph geniesst im In- und Ausland höchstes Ansehen, er wird überall total respektiert. In Basel sammelt er derzeit erste Erfahrungen als Coach. Wieso also nicht?»
Was könnte Lichtsteiner einfliessen lassen?
«Er könnte unsere defensive Struktur verfeinern. Die Abwehr ist meiner Meinung nach extrem wichtig. Gute Arbeit im hinteren Bereich vereinfacht den Weg zum Sieg. Wir erarbeiten uns offensiv weniger Möglichkeiten als die grossen Nationen, deshalb steht und fällt viel mit der Defensive. Darum wäre Stephan Lichtsteiner der perfekte Kandidat.»
Lichtsteiner war als Spieler ein Schwerarbeiter mit hohen Ansprüchen an sein Umfeld.
«Ich lernte ihn während seiner Zeit bei Arsenal näher kennen und schätzen. Er kam mit 34 nach London und lebte seine Professionalität jeden Tag jedem vor. Da habe ich gesehen und endgültig verstanden, weshalb er alle seine Titel mit Juventus gewonnen hat. Das ist keine Überraschung. So wie man sich vorbereitet, verhält, trainiert, so spielt man am Ende des Tages. Das muss in unsere Köpfe rein.»