«Wir sind der Underdog – doch das waren wir letzte Saison auch»
Yverdon schaffte in der letzten Saison, was nur die wenigsten für möglich gehalten hatten: den Aufstieg in die Super League. Den Waadtländern gelang zum vierten Mal in ihrer Vereinsgeschichte die Promotion in die höchste Spielklasse.
Marco Schällibaum, ist von der Aufstiegseuphorie in Yverdon noch etwas zu spüren?
«Die Erlebnisse sind natürlich immer noch präsent, klar. Die Mannschaft, die letztes Jahr aufgestiegen ist, gibt es in dieser Form aber nicht mehr. Wir mussten einige Spieler verabschieden, auf der anderen Seite fehlten lange die Neuzugänge. Dies hat auch mit der Verzögerung der Lizenzvergabe zu tun. Wenn unklar ist, in welcher Liga du nächste Saison spielst, wird es schwer, neue Spieler zu verpflichten. Deshalb waren wir etwas im Verzug. Die jüngsten Neuzugänge werden noch nicht alle einsatzbereit sein.»
Keine optimale Ausgangslage für den Start.
«Das ist die Realität. Sich in Geduld üben zu müssen ist Bestandteil eines Trainerjobs. Aber natürlich möchte man die Mannschaft, mit der man die Saison bestreitet, möglichst früh in der Vorbereitung zusammenhaben. Das war bei uns nicht der Fall. Die ersten zwei, drei Spiele werden wir deshalb nicht jene Mannschaft auf dem Feld haben, wie wir sie uns wünschen würden. Unsere Philosophie ist es, mit jungen Spielern zu arbeiten. Gleichzeitig geht es in der Super League nicht ohne Spieler mit Qualität und Erfahrung.»
Veränderungen stehen beim Aufsteiger momentan an der Tagesordnung. Ende Juni gab der bisherige Präsident Mario Di Pietrantonio nicht nur sein Amt, sondern auch 90 Prozent seines Aktienkapitals ab. Neuer Präsident ist Jeffrey Saunders. Der Amerikaner war einst selbst Fussballprofi und von 2018 bis 2021 Präsident des portugiesischen Vereins Estoril. Mehrheitsaktionär ist neu der Australier Jamie Welch, der unter anderem 15 Jahre für die Credit Suisse gearbeitet hat. Heute ist der Jurist Geschäftsführer von Kinetik, einem in Houston ansässigen Gasunternehmen.
Marco Schällibaum, bei anderen Schweizer Klubs lief es nach dem Einstieg von Investoren alles andere als rund. Wieso soll dies in Yverdon anders werden?
«Weil unsere Investoren sehr solid und transparent arbeiten und vom Fach sind. Sie haben einen langfristigen Plan, wollen den Klub in der Super League etablieren, gleichzeitig den Nachwuchs fördern und die Infrastruktur verbessern. Jeffrey ist dabei für die sportlichen Belange zuständig. Er versteht was von Fussball, bringt viel Erfahrung und ein grosses Netzwerk mit, das er nun versucht schnellstmöglich zu nutzen, um gestandene Spieler mit Qualität zu holen. Für mich auch sehr wichtig: Mein Wort hat Gewicht.»
Heisst: Sie sind mit einem Wunschzettel ins Büro des neuen Präsidenten marschiert mit dem Auftrag, diesen Wunschzettel abzuarbeiten?
«Natürlich werden meine Anliegen in Sachen Neuverpflichtungen ernst genommen. Von einem Wunschkonzert aber würde ich nicht sprechen. Denn am Schluss geht es immer ums Geld. Auch wenn wir nun neue Investoren an Bord haben und das Budget dadurch erhöht wurde, haben andere Vereine in der Super League nach wie vor viel mehr Möglichkeiten als wir. Deshalb müssen die neuen Spieler zu unserem Konzept passen. Wichtig ist, dass sie motiviert sind und die Möglichkeit sehen, hier etwas erreichen zu können.»
Als Aufsteiger können Sie befreit aufspielen, haben nichts zu verlieren.
«Ja und nein. Von aussen wird uns vielleicht nicht viel Kredit gegeben, der Tenor wird stets sein: Die haben keine Chance. Wir selbst rechnen uns aber schon etwas aus. Entsprechend legen wir uns Druck auf, in der Liga zu bleiben - im Bewusstsein, dass dies ein schwieriges Unterfangen wird. Aber einfach ist im Leben ja ohnehin nichts. Wir bleiben demütig und arbeiten hart, werden es angehen wie letzte Saison.»
Auch vor der letzten Spielzeit hatte Sie niemand auf der Rechnung, dann ist Ihre Mannschaft souverän durchmarschiert. Liegt Ihnen das Image des Underdogs?
«Ob es uns liegt, weiss ich nicht. Aber es passt zu uns, weil wir das kleinste Budget der Liga haben.»
Wie schätzen Sie die beiden Mitaufsteiger aus Lausanne ein?
«Lausanne-Sport hatte schon letzte Saison eine sehr gute Mannschaft, die sie nun nochmals punktuell verstärkt haben. Sie haben finanziell ganz andere Möglichkeiten als wir und werden eine gute Rolle spielen. Ich erwarte sie irgendwo im Mittelfeld. Lausanne-Ouchy ist ebenfalls sehr solid, ein unangenehmer Gegner, der vielen Mannschaften in der Super League weh machen kann.»
Apropos «eklig»: Einen solchen Spielstil fabriziert gemäss eigener Aussage Urs Fischers Union Berlin. Haben Sie sich bei ihm erkundigt, wie man einen Aufsteiger in der obersten Spielklasse hält und ihn dort etabliert?
«Nein. Ich kenne ihn durch die verschiedenen Lehrgänge zwar persönlich. So tief, dass wir uns regelmässig austauschen, ist die Verbindung dann aber doch nicht.»
Es gibt gewisse Parallelen zwischen Union und Yverdon: Das vergleichsweise kleine Stadion, die Aussenseiterrolle, Tradition, der Schweizer Trainer.
«Klar gibt es gewisse Punkte, die sich überschneiden. Aber: Union Berlin spielt in einer anderen Liga. Die haben sich gerade für die Champions League qualifiziert. Was Urs Fischer mit seiner Mannschaft erreicht hat, konnte niemand erwarten.»
Womit wir wieder bei Yverdon sind.
«Eine Entwicklung, wie sie Union genommen hat, ist auch für uns erstrebenswert. Wichtig ist nun aber vorerst, den ersten Schritt zu gehen und den Klassenerhalt irgendwie zu bewerkstelligen. Dann wird die zweite Saison leichter, da bin ich mir sicher.»
Während Marco Schällibaum in der kleinen schmucken Lounge des Stadionrestaurants sitzt, hämmert und klopft es draussen. Die Bagger sind aufgefahren und machen das malerisch am Südufer des Neuenburgersees gelegene Stade Municipal für die Super League tauglich. Am 23. September sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Bis dahin geniesst der Aufsteiger Gastrecht in der Maladière, dem Stadion von Neuchâtel Xamax.
Am 30. Juli empfangen Sie in Neuenburg Meister YB. Was ändert sich für Ihre Mannschaft durch den temporären Umzug ans Nordufer des Neuenburgersees?
«Es ist nicht optimal für uns. Wir hätten lieber in unserem Stadion gespielt. Aber es ist nun mal Realität. Ich kann deswegen nicht den ganzen Tag heulen, das macht es nicht besser. Wir sind in erster Linie froh, dass wir ein Stadion gefunden haben, in dem wir Super League spielen können, auch wenn es Punkte gibt, die nicht optimal sind. Wir werden auf Kunstrasen spielen, eventuell sogar vor leeren Rängen. Diese Aspekte gilt es anzunehmen und möglichst auszublenden. Wir müssen uns auf das fokussieren, was wir beeinflussen können. Und das ist unsere eigene Leistung.»
Nach Ihrer Profikarriere begannen Sie vor 25 Jahren Ihre Trainerlaufbahn beim FC Basel. Es folgten Engagements bei verschiedenen Klubs in unterschiedlichen Ligen in der Schweiz. Mit 61 Jahren haben Sie viel erlebt. Sie waren jedoch erst ein einziges Mal im Ausland unter Vertrag, holten 2013 mit Montreal Impact den kanadischen Cup. Wieso ging es danach nicht weiter für Sie in Nordamerika?
«Das ist eine lange Geschichte. Der sportliche Erfolg war da, in der Kabine aber hat es nicht mehr gestimmt. Ich wollte Veränderungen, der Vorstand nicht, also trennten sich die Wege. Ich habe keine Schadenfreude. Aber wenn man sieht, dass die Mannschaft mit dem neuen Trainer in der folgenden Saison den letzten Platz in der Liga belegte, zeigt das schon, dass ich nicht ganz Unrecht hatte.»
Ihre durchschnittliche Amtszeit als Trainer liegt bei nicht mal einem Jahr. Sind Sie ein schwieriger Typ?
«Schwierig ist das falsche Wort. Es kommt auch immer auf die Umstände in einem Verein an, mit all den personellen Entwicklungen. Ich setze mich für meine Mannschaft und meinen Staff ein. Da sind gewisse Diskussionen unumgänglich. Ich bin nicht oft entlassen worden, weil meine Mannschaft zu wenig Punkte gesammelt hat, da haben Sie schon recht. Aber ich bin kein böser oder unangenehmer Zeitgenosse. Vertrauen ist mir wichtig. Wenn dieses fehlt, wird es schwierig.»
Vertrauen, das Ihnen in Yverdon auch nach einem womöglich schwierigen Saisonstart mit magerer Punkteausbeute entgegengebracht wird?
«Aufgrund der letzten Saison habe ich mir hier ein gewisses Standing erarbeitet, von dem ich zehren kann, sollte es sportlich vorerst nicht rund laufen. Aber am Ende wird ein Trainer an Resultaten gemessen. Das ist auch in Yverdon so.»