Odermatt und Sarrazin in einer eigenen Liga
In den letzten fünf Rennen der Königsdisziplin teilten Odermatt und Sarrazin die Siege und - mit einer Ausnahme - auch die zweiten Plätze unter sich auf. Mit dem Franzosen ist dem Nidwaldner ein Kontrahent erwachsen, der ihn sowohl in Bormio wie nun auch zweimal auf der Streif mit Wahnsinns-Fahrten in den Schatten stellte. Als Folge davon kann Odermatt auf seiner persönlichen Bucket List - dem Wunschzettel, was er in seiner Karriere erreichen will - hinter «Sieg in Kitzbühel» noch kein Häkchen setzen.
Etwas, das Odermatt trotz anfänglicher Enttäuschung sportlich nimmt. Noch am Samstagmorgen vor dem Rennen sprach er mit seinem Teamkollegen Justin Murisier «über die eigentlich tolle Ausgangslage, dass ich entweder das letzte mir fehlende grosse Rennen in meinen Sport gewinne oder ich sonst halt genau dieses Ziel für die kommenden Jahre im Auge behalte».
Odermatts Sieg eine Frage der Zeit
Der letzte Abfahrer, der in Kitzbühel vor Sarrazin das Double schaffte, war Beat Feuz. Der Berner sagt aus eigener Erfahrung, dass für Odermatt schon am Tag nach dem so erhofften Sieg am Hahnenkamm die Welt wieder anders aussehen werde: «Ein zweiter Platz auf der Streif ist immer noch eine Wahnsinns-Leistung, für die es zudem achtzig Weltcup-Punkte gibt. Damit wird Marco weiterhin die rote Startnummer tragen.»
Feuz ist überzeugt, dass für Odermatt auch der Sieg auf der Streif nur eine Frage der Zeit ist, schliesslich ist die Strecke auf ihn zugeschnitten. Auch hier denkt er an seine eigene Geschichte: «Als ich das erste Mal auf der Streif gefahren bin, sagte ich meinem damaligen Trainer: ‹Das ist etwas für mich.› Vom Lauberhorn habe ich nie so gedacht. In Wengen sollte ich dann aber bereits 2012 zum ersten Mal gewinnen, in Kitzbühel wartete ich acht Jahre länger.»
Zwei ähnliche Typen
Trotz der Abwesenheit des letztjährigen Abfahrts-Dominators Aleksander Kilde, dessen Saison durch einen schweren Sturz in Wengen vorzeitig zu Ende ging, gibt es um den Abfahrts-Weltcup ein Duell. Und das wiederum zwischen zwei Fahrern, die sich mögen. Odermatt sagt, dass er sich wie mit Kilde auch mit Sarrazin gut versteht. «Er ist ein super Typ, der cool Ski fährt, alles Nötige mitbringt und viel riskiert. Das wollen doch die Leute sehen.» Man sei sich ähnlich, findet Odermatt, gönne sich deshalb auch gegenseitig den Erfolg und habe schon zusammen Party gemacht.
Die nächsten zwei von noch vier ausstehenden Abfahrten stehen am übernächsten Wochenende in Chamonix auf dem Programm. Odermatt reist mit sechs Punkten Vorsprung nach Frankreich. Alles bleibe offen, sagt der Schweizer, der schon vor Kitzbühel keineswegs das Gefühl einer Vorentscheidung im Abfahrts-Weltcup hatte. Auch in den anderen Disziplinen könne noch sehr viel passieren. «Es ist nicht einmal Saisonhälfte.»
Sehr eng getakteter Rennkalender
Sarrazin wird nach den zwei intensiven Rennwochen in Wengen und Kitzbühel eine kurze Pause einlegen, um wieder Energie zu tanken. Etwas, das auch Odermatt gelegen käme. Dessen Programm mit Adelboden war noch anstrengender als dasjenige seines Konkurrenten. Doch vor den zwei Super-G in Garmisch ist für den Nidwaldner ein Abstecher zum Riesenslalom nach Schladming angesagt. Trotz vier Siegen in bislang vier Saisonrennen in dieser Disziplin «hält sich nach Kitzbühel die Freude gerade in Grenzen» (Odermatt).
Swiss-Ski-Geschäftsführer Walter Reusser spricht von einem «brutalen Rennkalender, der auch einen Fahrer wie Marco nicht nur körperlich, sondern vor allem auch mental stark fordert. Wäre er ein junger Athlet, so würde ich ihm raten, ein Rennen auszulassen.» Etwas, das für Odermatt aber kaum zur Diskussion steht: «Ich versuche, mich möglichst gut erholen. Wenn ich dann in Schladming bin, schaue ich weiter.»
Ans Limit gehen, ohne zu übertreiben
Sarrazin, die Speed-Entdeckung dieser Saison, fährt nach dem Motto «No Limits». Der 29-Jährige sieht keinen Grund, weshalb er sein Momentum nicht weiterziehen sollte: «Ich bin im Flow, habe grossen Spass und versuche, das Limit voll auszuloten, ohne dabei aber zu übertreiben.» Das war noch im Winter zuvor anders, da landete Sarrazin regelmässig in den Fangnetzen. Doch auf diese Saison hin konnte er dank enger Zusammenarbeit mit einer Mentaltrainerin seine Ausfall-Quote drastisch verringern. «Cyprien hat erkannt, dass er für einen Sieg nicht jedes Mal alles riskieren muss», so Odermatt am Freitag.
Tags darauf lautete die Erkenntnis des Abfahrts-Weltmeisters, dass er bei seiner Fahrt vielleicht sechs Zehntel finden könnte: «Aber das hätte mir noch immer nicht zum Sieg gereicht.» Den Grund dafür sieht Walter Reusser beim für einmal nicht ganz passenden Set-up. «Das gilt es auch zu akzeptieren. Du kannst nicht dreissig Mal fahren und immer ist der rote Teppich für dich ausgelegt.»