Nino Schurter blüht mit 37 Jahren noch einmal auf
Zwar ging dem erkälteten Schurter im Saisonfinish im kanadischen Mont-Sainte-Anne nach einer kräftezehrenden Saison mit den historischen Weltcupsiegen in Lenzerheide und Val di Sole, drei weiteren Podestplätzen sowie WM-Bronze an den Titelkämpfen in Schottland ziemlich die Luft aus. Einmal mehr lieferte er aber auch unter erschwerten Bedingungen ab, was für die nächste Auszeichnung im Trophäenschrank gefordert war: Der 14. Rang reichte gerade aus, um den neunten Triumph im Gesamtweltcup ins Trockene zu bringen - trotz miserablem Start und herausgesprungener Kette zur Unzeit.
Um im Gesamtweltcup zu reüssieren, braucht es Konstanz auf höchstem Niveau. Um mit 37 Jahren die 13. WM-Medaille zu erringen eine Top-Leistung am Tag X. Als grösstes Highlight der Saison steht aber der 34. Weltcupsieg im Heimrennen in Lenzerheide, den Schurter zumindest insgeheim als oberstes Saisonziel auserkoren hatte.
Das zweite Lenzerheide-Märchen
Nirgends hätte er den historischen Erfolg, mit dem er den Rekord des Franzosen Julien Absalon einstellte, lieber feiern wollen als vor dem Bündner Heimpublikum. Dieses hat ihm 2018 beim WM-Triumph schon seinen bis dahin schönsten Sieg beschert und wurde 2022 Zeuge, wie er seine gefühlt letzte Chance in der Heimat durch den fatalen Zusammenstoss mit Mathias Flückiger im Zauberwald entschwinden sah.
Wie sein langjähriger Teamchef Thomas Frischknecht nach der erfüllten Mission verriet, sprach Schurter am Tag vor dem diesjährigen Heimrennen von seinem persönlichen letzten Tanz. Sein Schützling sei am Vorabend sehr emotional geworden, schilderte Frischknecht im Juni in Lenzerheide. «Die Wenigsten wissen, was im Innern eines Nino Schurter vorgeht. Im Bewusstsein, dass 2024 kein Weltcuprennen in Lenzerheide stattfinden wird, kündigte er am Tisch an: 'It‹s my last dance.›»
Ein Tanz, der sich hinzieht
Nun, der letzte Tanz zieht sich hin. Mehrere Erfolge sind seither noch dazugekommen, darunter der 35., ebenfalls historische Weltcupsieg. Und das mutmasslich letzte grosse Ding ist mit Olympischen Spielen 2024 in Paris, an die er während der sportlichen Baisse in der Corona-Zeit gar nicht mehr richtig zu denken getraute, nun schon fast in Schlagdistanz.
Es sind Aussichten und Erfolge, die während der zweijährigen Sieglosigkeit im Weltcup zusehends nicht mehr greifbar schienen. Doch jetzt fühlt sich ein Topresultat im Kreis der Weltbesten, zu denen sich an den Sommerspielen mit Thomas Pidcock und Mathieu van der Poel auch zwei Giganten des Radrennsports gesellen dürften, die auf vielen Hochzeiten tanzen, für Schurter sogar im Jahr 2024, mit dann 38 Jahren, wieder realistisch an. Zumal seine Liebe zum Mountainbike-Sport ungebrochen ist, er das knochenharte Training nach wie vor als Spass und nicht als sich ewig wiederholende Schinderei empfindet.
Je älter, desto schöner
Und, das hat es mit dem Alter, der Passion und der immer bewusster werdenden Vergänglichkeit so an sich: Mit jedem Jahr mehr weiss auch ein Nino Schurter die Erfolge und Gelegenheiten mehr zu schätzen, die sich noch anbieten. Auch deshalb wird dieser neunte Triumph im Gesamtweltcup, den er am Sonntag in Kanada ins Ziel rettete, in seinem Trophäenschrank einen besonderen Platz bekommen. Nicht nur, weil dieser ihm das Selbstvertrauen für ein weiteres Jahr auf höchstem Niveau mit weiteren unvergesslichen Erfolgen gegeben hat.