Gegen Kosovo zurück in die Spur finden
Es war ein fast schon surrealer Moment an jenem Juni-Abend in Luzern. Die Schweiz hatte die Partie gegen Rumänien mit über 70 Prozent Ballbesitz dominiert, führte kurz vor Schluss scheinbar souverän mit 2:0 und blickte dem vierten Sieg im vierten Qualifikationsspiel entgegen. Dann folgten zwei Minuten mit mindestens zwei Unachtsamkeiten in der Abwehr - und plötzlich stand es 2:2.
Nach dem Schlusspfiff gab es von den heimischen Fans aber kaum Pfiffe. Wie die Spieler auf dem Rasen schienen auch die Zuschauer, die mehrheitlich aufmunternd klatschten, in erster Linie perplex. 89 Minuten lang hatte die Partie der Schweizer begeistert - einzig die Chancenverwertung war mangelhaft -, und doch musste man sich am Schluss mit einem Punkt begnügen.
«Das darf uns nicht passieren», lautete danach der Tenor, der bis zum aktuellen Zusammenzug nachhallte. So betonten mehrere Nationalspieler während der Vorbereitung im Wallis, im anstehenden Duell gegen Kosovo eine Reaktion auf den Stolperer in Luzern zeigen zu wollen.
Kosovo mit neuem Trainer
Denselben Vorsatz haben sich allerdings auch die Kosovaren gefasst, die nicht nur im Spiel davor, sondern allgemein klar unter den Erwartungen geblieben sind. Nach drei Unentschieden - darunter ein 1:1 im Heimspiel gegen Andorra - gab es zuletzt eine Niederlage beim bis dahin noch punktelosen Belarus. Dies setzte der Amtszeit des französischen Trainers Alain Giresse ein jähes Ende. Unter dem Slowenen Primoz Gliha, der die Mannschaft nach Bernard Challandes' Entlassung Ende 2021 schon einmal kurz betreut hat, soll die Kampagne gerettet werden.
Die Ansprüche der kosovarischen Fans sind in kurzer Zeit stark gewachsen. In der letzten EM-Qualifikation klassierte sich das Team, dessen Verband erst 2016 bei UEFA und FIFA aufgenommen wurde, in der Gruppe hinter England und Tschechien im 3. Rang und liess dabei Bulgarien und Montenegro hinter sich. Nach der Gruppenauslosung für die aktuelle Qualifikation stiegen die Hoffnungen des jungen Landes auf die erstmalige Teilnahme an einer Endrunde. Hinter der Schweiz als klaren Favoriten schienen Rumänien, Israel, Belarus und Andorra in Reichweite zu liegen. Inzwischen ist die Mannschaft auf dem harten Boden der Realität aufgeschlagen.
Den Schweizern ist jedoch bewusst, dass sich Kosovo bisher unter Wert verkauft hat. Wie unangenehm der Gegner sein kann, erlebte das Team von Trainer Murat Yakin im März des letzten Jahres, als die beiden Nationen in Zürich ein Testspiel bestritten. In dieser Partie gingen die Gäste gar in Führung, ehe den Schweizern in mühevoller Arbeit immerhin noch der Ausgleich gelang. Auch wenn damals nicht die Stamm-Elf auf dem Platz stand, dürfte die Begegnung als Warnung dienen.
Bislimi gegen seine Ex-Kollegen
Besonders wird das Spiel vor allem für Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Uran Bislimi, die ihre Wurzeln im Kosovo haben. Während Shaqiri und Xhaka, die schon seit mehr als einem Jahrzehnt für die Schweiz auflaufen, wohl mehrheitlich warm empfangen werden, muss sich Bislimi auf einen eisigen Empfang einstellen.
Der bald 24-jährige Offensivspieler des FC Lugano bestritt Ende des letzten Jahres zwei Testspiele im Dress des Kosovo, wobei er beim 1:1 gegen Färöer sogar das Tor erzielte. Ein weiteres Aufgebot lehnte er danach allerdings ab. Kurz darauf entschied sich Bislimi, für das Schweizer Nationalteam zu spielen; gegen Rumänien kam er in den Schlussminuten zu seinem Debüt. Sein Umdenken hatte bei den Verbandsverantwortlichen wie auch bei den Fans für Missmut gesorgt. «Wir werden Uran vor allfälligen Anfeindungen schützen», stellte Shaqiri im Vorfeld väterlich klar.
Umgekehrt gibt es im Aufgebot des Kosovo gleich sieben Spieler mit engem Bezug zum gegnerischen Land. Fidan Aliti, Ismajl Beka, Betim Fazliji, Florent Hadergjonaj, Kreshnik Hajrizi, Andi Hoti und Torhüter Arijanet Muric sind alle in der Schweiz aufgewachsen. Für mindestens 90 Minuten werden die freundschaftlichen Beziehungen zu den Spielern im gegnerischen Team in den Hintergrund rücken.