Equipenchef Michel Sorg im Interview über die Schweizer Reitszene | Radio Central
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Equipenchef Michel Sorg im Interview über die Schweizer Reitszene

29. August 2023, 05:01 Uhr
Vertritt klare Standpunkte: Der Schweizer Equipenchef Michel Sorg
© KEYSTONE/MARTIAL TREZZINI
Die sieben Nationen Dänemark, Norwegen, Österreich, Italien, Portugal, Spanien und die Schweiz kämpfen diese Woche an der EM in Mailand noch um drei Tickets für die Olympischen Spiele in Paris.

Der Equipenchef Michel Sorg warnt im Interview vor einem Selbstläufer.

Michel Sorg, die Schweizer Equipe der Springreiter reiht diesen Sommer einen Erfolg an den anderen - mit prestigeträchtigen Siegen in St. Gallen, Aachen, Falsterbo und Dublin. Vor diesem Hintergrund wäre eine EM in Mailand ohne Olympia-Ticket gegen zweitklassige Nationen peinlich, eine Schmach. Was meinen Sie?

«Das ist als Aussenstehender leicht gesagt. Im Sport kann es immer Überraschungen geben.»

Überraschungen, die Sie um jeden Preis verhindern wollen. Welche Vorkehrungen haben Sie getroffen?

«Die Jahresplanung ist auf Mailand ausgerichtet, die Einsätze von Ross und Reiter genau abgestimmt. Wir hatten bislang eine super Saison, das Momentum ist auf unserer Seite.»

Droht vor diesem Hintergrund Überheblichkeit?

«Diesen Fehler begehen wir bestimmt nicht. Das Olympia-Ticket ist keine Selbstverständlichkeit.»

Die starken Resultate diesen Sommer, eine Equipe in Bestbesetzung, ein eingespieltes, routiniertes Team: All das beruhigt Sie bestimmt. Gleichwohl steigt der Druck, oder?

«Das Wort Druck höre ich nicht so gerne, Adrenalin gefällt mir besser. Wir sind Wettkämpfer, wir wollen viele Nullfehler-Runden zeigen. Wir reisen als Titelverteidiger nach Mailand, wir dürfen auch an eine Medaille denken. Sofern wir ein starkes Championat reiten, kommt das Olympia-Ticket.»

Die Schweiz gehört zu den Top-6-Nationen im Springreiten - zusammen mit Deutschland, Schweden, Holland, Frankreich und den USA. Was zeichnet uns als kleine Nation aus?

«Wir haben Dynastien. Einer in unserem Team heisst Guerdat, einer heisst Fuchs. Diese Familien sind bereits über mehrere Generationen mit dem Springreiten verbunden. Ein zweites Plus sind die Pferdebesitzer. In der Schweiz investieren Mäzene in den Reitsport - sie machen es für den Sport, nicht des Geldes wegen. Ohne ein starkes Pferd bleibt der Reiter ein Fussgänger.»

Und was noch?

«Zudem erlauben die professionellen Strukturen im Nachwuchsbereich auch Talenten ausserhalb der Reitszene, in unserem Sport Fuss zu fassen. Edouard Schmitz steht hierfür beispielhaft. Und speziell erwähne ich Thomas Fuchs, den viele als den besten Trainer der Welt bezeichnen. Jede Nation würde ihn nehmen.»

Im Springreiten steht die Schweiz hervorragend da. Wieso ist sie in den anderen olympischen Disziplinen ins Hintertreffen geraten?

«In der Vielseitigkeit ist das Olympia-Ticket gelöst, die Schweiz ist EM-Fünfte. Mit einer neuen, jungen Konstellation kommt hier viel Dynamik rein. In der Dressur braucht es mehr Zeit, für Paris wird es eng werden. Der Vorteil des Springreitens ist: Hier haben wir starke Lokomotiven, die den Nachwuchs animieren.»

Sie werden am Kongress des Weltverbandes FEI aller Wahrscheinlichkeit nach ins Jumping Committee gewählt. In welchen Bereichen wollen Sie in diesem Gremium Schwerpunkte setzen?

«Ich will mich in den Sport einbringen, mich engagieren und ihn von innen heraus voranbringen. Auf meiner Agenda stehen derzeit drei Punkte: Erstens brauchen wir mehr Klarheit in unserem Sport. Die verschiedenen Serien sorgen für Verwirrung. Zweitens müssen wir zur Akzeptanz des Reitsports Sorge tragen. Und drittens gilt es, den Reitsport besser zu positionieren, auch medial. In der Schweiz sieht es diesbezüglich im Vergleich mit anderen Nationen noch gut aus. »

Sie sind seit vergangenem Frühling Geschäftsführer des nationalen Verbandes, die Doppelbelastung mit dem Amt als Equipenchef ist auf die Dauer nicht haltbar. Kennen Sie Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin bereits?

«Ein Vorentscheid, der das Kandidatenkarussell beeinflusst, ist gefallen: Thomas Fuchs bleibt dem Team als Trainer erhalten. Wir suchen also an seiner Seite einen Manager.»

Quelle: sda
veröffentlicht: 29. August 2023 05:01
aktualisiert: 29. August 2023 05:01