«Hammerskins» verboten: Grossrazzia bei Neonazis in Deutschland
Wie das Ministerium am Dienstag mitteilte, durchsuchten rund 700 Einsatzkräfte der Länder und der deutschen Bundespolizei Wohnungen von 28 mutmasslichen Mitgliedern des Vereins in zehn Bundesländern: in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und dem Saarland.
Drei Objekte sollen als Vereinsheime genutzt worden sein. Die Razzia richtete sich dem Vernehmen nach nur gegen mutmassliche Führungsfiguren. Die Behörden schätzen die Zahl der Mitglieder der konspirativ handelnden Vereinigung deutschlandweit auf rund 130.
Der Verein agiere gegen die verfassungsmässige Ordnung, gegen den Gedanken der Völkerverständigung, hiess es nach Angaben des Bundesinnenministeriums zur Begründung des Verbots. Zudem liefen Zweck und Tätigkeit der Vereinigung den Strafgesetzen zuwider.
Bei Konzertveranstaltungen der Gruppe würden auch Nicht-Mitglieder mit rechtsextremistischem Gedankengut ideologisiert. Mitglieder der Vereinigung sind auch in der Kampfsportszene aktiv. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen boten sie sich zudem als Sicherungsdienst für rechtsextremistische Veranstaltungen an.
Bei den Durchsuchungen wurden laut Faeser neben Bargeld auch grosse Mengen rechtsextremistische Devotionalien beschlagnahmt. «In einigen Bundesländern wurden die Durchsuchungsmassnahmen aufgrund aktueller Erkenntnisse weiter ausgeweitet», fügte sie hinzu. Wie das Innenministerium in Schwerin mitteilte, kam bei den Durchsuchungen in Mecklenburg-Vorpommern der Munitionsbergungsdienst zum Einsatz. Auch von waffenähnlichen Gegenständen war die Rede.
Bei den Vorbereitungen für das Verbot haben Bund und Länder nach Angaben des Ministeriums über ein Jahr lang zusammengearbeitet. Auch mit US-Partnerbehörden sei kooperiert wurden. Die Neonazi-Gruppe ist ein Ableger einer Gruppierung aus den USA und existiert in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre. Wer sich der Vereinigung anschliessen wollte, die sich selbst als elitär versteht, musste verschiedene Stufen durchlaufen, um als Vollmitglied anerkannt wurde.
Zu den rechtsextremistischen Vereinigungen, die in den vergangenen Jahren in Deutschland verboten wurden, zählen unter anderem «Combat 18» und «Nordadler». Laut Ministerium ist es das 20. Verbot einer rechtsextremistischen Vereinigung durch das Bundesinnenministerium.
Bei der Razzia wurden unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern drei Objekte durchsucht, darunter in dem wegen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und Gegnern bekannten Dorf Jamel. Vier Orte steuerte die Polizei in Nordrhein-Westfalen an. In Brandenburg waren vier Verdächtigte betroffen, in Berlin zwei Orte, im Saarland sechs Objekte und in Hessen ein Verdächtigter.
Das Verbot zeige, dass die Ampel-Regierung den Kampf gegen Rechts mit Entschlossenheit angehe, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic. Die Innenpolitikerin fügte hinzu: «Wir müssen selbstverständlich noch tiefer gehen und jedem Versuch entschlossen entgegentreten, rechte Parallelgesellschaften zu etablieren.» Der Fall Colditz habe gezeigt, wie tief sich mancherorts der Rechtsextremismus «in das gesellschaftliche Leben eingefräst und kriminelle Strukturen etabliert hat». Dadurch entstehe ein Klima der Angst.
Wegen bandenmässigen Drogenhandels hatte die Staatsanwaltschaft im August Anklage gegen einen Vater und seine beiden Söhne aus der sächsischen Kleinstadt Colditz erhoben. Ende März waren bei einer Razzia unter anderem 5,5 Kilogramm Crystal, mehrere Waffen, Luxusautos sowie eine Indoor-Plantage mit 2600 Marihuana-Pflanzen gefunden worden.
Der sächsische Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas (SPD) hatte damals, nachdem die drei Männer in Untersuchungshaft gekommen waren, gefordert, rechtsextremen Netzwerken die finanzielle Grundlage zu entziehen. Er sagte: «Der Einsatz in Colditz hat viel mehr ausgelöst, als nur Betäubungsmitteldelikte bei organisierten Neonazis aufzudecken. Er hat eine Stadt aufatmen lassen.»