Flugblatt-Affäre: Bayerns Regierungschef lässt seinen Vize im Amt
Gegen den Freie-Wähler-Chef waren seit mehr als einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die «Süddeutsche Zeitung» berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien «ein oder wenige Exemplare» in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.
Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei – was ihm sofort neue Vorwürfe etwa des Zentralrats der Juden einbrachte.
Die bayerische Staatsregierung veröffentlichte am Sonntag unmittelbar nach der Pressekonferenz 25 Fragen, die Söder vor einigen Tagen an Aiwanger gestellt hatte, sowie dessen Antworten. Söder sagte, er habe zudem ein langes Gespräch mit seinem Vize geführt. Aiwanger hätte die Vorwürfe früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen. Die Entschuldigung und Distanzierung Aiwangers sei zwar spät, aber nicht zu spät gekommen. Nun müsse Aiwanger verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und etwa Gespräche mit jüdischen Gemeinden suchen.
Der Ministerpräsident erklärte, es sei um schwere Vorwürfe gegangen. Das Flugblatt sei «besonders eklig, widerwärtig, menschenverachtend und absoluter Nazi-Jargon». Seine Entscheidung begründete Söder im Wesentlichen mit fünf Punkten: «Erstens er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden.» Zweitens habe er sich entschuldigt und Reue gezeigt. «Drittens: Ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht, dagegen steht seine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war. Viertens: Seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens: Das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her.»
Aus der bayerischen Opposition kam heftige Kritik an der Entscheidung Söders. Auch deutsche Bundespolitiker kritisierten die Entscheidung. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf Aiwanger: «Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere.» Da sei eine Grenze überschritten.