Claude Nicollier bleibt auch mit 80 dem Weltraum treu
Stattdessen versucht er, seine Leidenschaft zum Weltraum an jüngere Generationen weiterzugeben.«Die Erfahrungen, die ich als Astronaut gemacht habe, waren unglaublich tiefgründig. Wenn man etwas so Aussergewöhnliches erlebt hat, kann man das nicht für sich behalten», sagte Nicollier.
Noch heute unterrichtet Nicollier in einigen Kursen an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich. Auch mit den neuen Astronauten der Europäischen Weltraumorganisation ESA ist er in Kontakt. Dazu gehört Marco Sieber, der in den nächsten Jahren in Nicolliers Fussstapfen treten und als zweiter Schweizer ins All fliegen wird.
Klare Bilder im Kopf
Auf seine Zeit im Weltraum schaut Nicollier wehmütig zurück. Er würde sofort wieder fliegen, wenn er die Möglichkeit hätte. Aber nicht als Weltraumtourist. «Ich tue gerne Dinge, die sinnvoll sind, nicht nur zum Spass. Ich möchte etwas bewirken.» Bei seinen Weltraumflügen habe er dies getan. «Mit der Erforschung des Weltraums erweitern wir das Wissen der Menschheit.»
Insgesamt verbrachte Nicollier auf verschiedenen Missionen rund 1000 Stunden im Weltraum. «Ich habe noch immer sehr klare Bilder davon im Kopf», sagte der Astronaut. «Man kann zwar Fotos oder Videos davon anschauen, aber es ist nicht das gleiche, wie wenn man es selbst erlebt.»
Besonders in Erinnerung geblieben ist Nicollier die Begegnung mit dem Weltraumteleskop Hubble. «Als ich das Teleskop zum ersten Mal mit der Hand berührte, war das ein sehr spezielles Gefühl.» Um das Teleskop zu reparieren, unternahm er als erster europäischer Astronaut einen Aussenbordeinsatz - mit Erfolg: Am Ende der Mission funktionierte das Teleskop wieder. Noch heute liefert es der Wissenschaft wichtige Daten.
«Man sieht die Narben»
Die Erde vom Weltraum aus zu sehen, habe ihn tief geprägt und seine Sicht auf die Welt verändert. «Vom Weltraum aus sieht man, wie zerbrechlich die Erde ist. Man sieht die Narben, die der Mensch auf dem Planeten hinterlässt. Insbesondere Waldbrände und die Abholzung sind vom Weltraum aus sehr deutlich sichtbar», sagte Nicollier.
«Ich hatte bei diesem Anblick das tiefe Gefühl, dass wir diesen ganz besonderen Planeten schützen müssen, weil wir wissen, dass dies der einzige Ort ist, an dem wir im Moment in unserem Sonnensystem leben können.» Es sei zwar möglich, dass Menschen in Zukunft für eine gewisse Zeit auf dem Mars oder auf anderen Planeten leben könnten. Dass es einmal grosse Kolonien ausserhalb der Erde geben werde, glaube er aber nicht, zumindest nicht in den nächsten Jahrzehnten.
Für die Zukunft der Erde sei er «moderat optimistisch». «Zumindest haben wir jetzt das Bewusstsein dafür, dass etwas getan werden muss. Das gab es vor 50 Jahren noch nicht.»
«Ich wäre gerne zum Mond geflogen»
Seit Nicolliers Einsatz im All sind Weltraummissionen deutlich länger geworden. «Meine Missionen waren stets kurz. Normalerweise zehn bis zwölf Tage. Und diese waren mit harter Arbeit gefüllt.» Auf der Internationalen Raumstation ISS, auf der Missionen in der Regel 6 Monate dauern, sei das anders. «Ich wäre gerne länger im Weltraum geblieben. Nicht nur, um die Aussicht zu geniessen, sondern auch um zu erfahren, wie es ist, für längere Zeit in diesem Umfeld zu leben.» Sein Nachfolger werde diese Möglichkeit haben.
Auch eine andere Erfahrung, die Astronautinnen und Astronauten bald wieder machen werden, hätte er gerne gehabt: «Ich wäre gerne zum Mond geflogen. Aber es gab keine Mondmission, als ich aktiver Astronaut war.»
Unerreichbarer Traum
Lange erschien Nicollier der Traum, Astronaut zu werden, unrealistisch. «Die Raumfahrt war damals unter den Sowjets und den Amerikanern aufgeteilt», erklärte er. Stattdessen studierte er Astronomie und Physik, liess sich zum Militär- und Zivil-Piloten ausbilden und trat schliesslich eine Stelle im ESA-Forschungs- und Technologiezentrum in den Niederlanden an.
Als sich dort zum ersten Mal für Schweizer die Möglichkeit öffnete, Astronaut zu werden, packte er die Chance und bewarb sich um die Ausbildung zum ESA-Astronauten. Er wurde Mitglied der ersten Trainingsgruppe und ging 1980 zur weiteren Ausbildung als Space Shuttle-Missionsspezialist in die USA.